Sorry, dass ich mich hier mal melden muss, eigentlich wollte ich ja hier nur mitlesen:
(Ich warne direkt - das ist mein totales Aufregerthema seit der Markteinführung des Golf III, das wird hier etwas länger dauern, meine 30 Jahre lang angestaute Wut mal rauszulassen, aber dafür ist das Internet ja schließlich auch gemacht)
Ich kann und werde es nicht verstehen, weshalb VW auf der ganzen Welt Autos baut, die die Massen motorisieren und sich seit Ignazio Lopez in Westeuropa nur noch aufs - vermeintliche - Premiumsegment verlässt.
Ich habe ziemlich genau so lange, wie es den Golf II nicht mehr gibt, einen Führerschein und habe immer Diesel gefahren, anfangs auch immer aus dem Hause VW, weil wir Zuhause immer VWs gefahren sind. Opels waren was für Spießer, BMWs was für Männer mit kleinem Pipimann, Mercedes was für Leute, die zeigen mussten, dass sie gerne so viel Geld hätten wie wir es hatten, und Ford war und ist immer nur indiskutabel gewesen, einfach weil es Fords sind. Nur VW war okay: gegenüber Japanern überteuerte Karren, aber unverwüstlich, weil auch nichts dran war, was hätte kaputt gehen können. So war das in den achzigern, so bin ich aufgewachsen in Baden-Württemberg, wenn ein Bauer mit rotem "Porsche Diesel" angetuckert kam, bin ich da als Kind lieber aufgestiegen als auf jeden anderen Trekker. Das Bewusstsein bestimmt dann halt irgendwann auch das Sein.
Wie auch immer - ich hatte deswegen in meinem Studium und den ersten Berufsjahren alle Golfs von I - IV durch, alle als Diesel, und sind wir ehrlich: seit dem Golf III Cabrio TDi ist kein besseres Auto mehr für Leute gebaut worden, die ihr Erbgut noch nicht gestreut haben. Hab ich aber, gottseidank, und bin deshalb Ende der 00er - Jahre auf Franzosen umgestiegen. Weil ich es einfach nicht mehr bereit war, den Gegenwert einer kleinen Eigentumswohnung auf dem Land in einen Familienkombi zu blasen, der sich zwar edel anfühlt und jeden erdenklichen Schnickschnack hat, aber nach drei Wochen mit Kleinkindern sowieso aussieht wie ne rollende Mülltonne. Nen gut ausgestatteten Citroen C5 gabs fast für die Hälfte des Preises eines gleich gut ausgestatteten Passats und der fuhr auch nur mit langkettigen Kohlenstoffmolekülen.
Den hab ich nach fünf Jahren und 200.000 Kilometern getauscht zu Gunsten eines Dacia Logan Diesel, der 2013 ziemlich genau das war, was in den achzigern ein Golf II als GTD - Kombi hätte sein können, wenn sie damals in Wolfsburg nicht so engstirnig in ihrer Modellpolitik gewesen wären. Aber weil ich mittlerweile im Ruhrgebiet wohne und hier - da bin ich sicher - ab demnächst keine Euro fünf Diesel mehr fahren dürfen, ich aber 70 Kilometer Arbeitsweg habe, der mit dem ÖPNV auch im "urbanen Umfeld" 2:30 Stunden (!!!!) dauert (das muss man sich mal wegtun: ich wohne im Ruhrgebiet und muss im Ruhrgebiet arbeiten, das ist so, als würde man in Paris vom XVI. ins XX. Arrondissement fahren. Da braucht die Metro eine Stunde und ist bezahlbar, hierzulande schaut man in vollurinierten Vorortzügen zu, wie der Anschlusszug wegfährt, weil nichts funktioniert und braucht nicht 2,5 Std., sondern im Ergebnis 3,5 Std., weil auch nichts ordentlich getaktet ist, und das ganze kostet dann 200 Euro pro Monat. Dafür müsste sich hier mal einer ne gelbe Weste anziehen, damit das besser wird).
Also musste ein neues, günstiges und zuverlässiges Auto her, und im Leben wäre ich nicht mehr auf die Idee gekommen, das bei VW zu finden. Weil mir ein Diesel aber zu riskant war und meine Spritkosten nicht viel höher liegen sollten als mit dem Dacia Diesel (der sich zwischen 5 bis 6 Liter weggetan hat), bin ich tatsächlich beim Mii gelandet. Die Kinder sind groß und bis auf einen aus dem Haus, es gäbe viele Gründe für einen Golf III Diesel, den es aber nicht mehr gibt, und keinen mehr für einen Kombi oder auch nur ein Auto in der Größe des aktuellen Golfs. Ganz im Gegenteil: der Mii ist so groß, wie es einst der Golf I war, und mit dem bin ich ja auch glücklich geworden, als ich nur mich und meine Frau als damalige Freundin hatte. Dafür ist er in seiner Klasse konkurrenzlos auf der Autobahn, ich hab sie wirklich alle durchgetestet. Vor der Kaufentscheidung habe ich die Probefahren mit denen, die in die engere Wahl kamen, nicht beim Händler, sondern bei SIXT gemacht: eine Woche mieten, dann weiss man am Freitag, was einem Montags noch nicht gestört hat. Für Langstreckenpendler mit Sparwahn, wie ich es bin, sind die drei die beste Wahl - gewesen, wie man leider sagen muss, und auch ein Mii electric wird nicht an das rankommen, was ich an ihm jetzt noch habe, auch wenn es ein Benziner ist.
Aber er hat in der Ausstattungslinie Chic, wie ich sie habe, so viel Firlefanz, dass ich mich frage, wieso sie das nicht weglassen und stattdessen die gesparte Kohle in ihren Gewinn stecken, statt die Linie auslaufen zu lassen. Denn das ist doch der einzige Grund: mit Euro 6 ist die Abgasreinigung so teuer, dass die ohnehin geringe Gewinnspanne gegen null geht. Also lieber fette SUVs, denn dafür zahlen die Leute ja alles, was man verlangt.
Was das ist? Nun:
- Wozu brauche ich einen "City - Notbremsassistent", der mich bis 30 Km/h entmündigt, wenn die meisten Straßen Höchstgeschwindigkeit bis 50 Km/h erlauben?
- Das Beats - Soundsystem ist eine Katastrophe im Mii, gottlob war es drin und kostete nicht extra, am liebsten hätte ich es abgewählt. Es klingt, als würde man sich im Kindergarten mit einem Dosentelefon unterhalten, hat noch nicht mal DAB und wird nächste Woche in meinem Urlaub durch ein anständiges Mittelklasseradio mit DAB für 100 Euro mit einigermaßen normalen Boxen und Subwoofer ersetzt, die zusammen keine 600 Euro gekostet haben und mit dem Alubutyl für nochmal 200 Euro mehr bringen werden, als man bei VW für 800 Euro kaufen kann.
- Adaptive Intervallwischerschaltung ist nett, braucht aber kein Mensch, der seinen rechten Arm bewegen kann, genauso wie die automatische Lichteinschaltung niemand braucht, der Augen hat, um zu sehen, wann es besser ist, links einen Schalter zu drehen.
- Parkpiepser bei einem 3,6 Meter Auto! Mehr muss ich nicht sagen - wer das braucht, sollte Fahrrad fahren, da findet er unfallfrei immer einen Parkplatz.
- Servolenkung bei einem 900 Kilo Auto mit 2,40 meter Radstand! Ich weiss, haben sie alle. Hatten sie aber bis Ende der neunziger eben nicht alle, und keiner hat sich darüber aufgeregt. Das klingt jetzt auch nur noch für die älteren unter uns nachvollziehbar: das brauchte man früher unterhalb eines 200er Benz einfach nicht, wir haben in der Fahrschule gelernt, das man ein Auto nicht im Stand lenkt (schon wegen der Reifen) und wie man es beim Rangieren so bewegt, dass man das auch nicht muss.
- Berganfahrhilfe! Da gilt das gleiche wie beim Vorhergesagten: das Anfahren am Berg hat man in der Fahrschule gelernt und der Fahrschule halt mit den Gebühren alle 30.000 Kilometer einen Kupplungssatz finanziert. Dieses Gimmick ist so bescheuert, dass meine 20 Jahre alte Tochter nicht in der Lage war und ist, ehemals mit dem Dacia und heute immer noch mit dem Renault Twingo meiner Frau, der das nicht hat, im Parkhaus anzufahren: da stechen Feuerflammen aus den Vorderrädern, weil DER FAHRSCHULWAGEN EINE BERGANFAHRHILFE HATTE! Macht zwar tolle Effekte, aber man fragt sich, ob das dann wirklich noch zivilisatorischer Fortschritt ist, wenn ich nach Erwerb des Führerscheins mit meinen Kindern auf einen Hang fahren muss, um erst mit Handbremse und dann nur mit dem Spiel der Füße ein Auto ohne Gefährdung des rückwärtigen Verkehrs nach vorne zu bringen.
Nehmt nur diesen - in meinen Augen bei einem Auto wie dem Mii überflüssigen - Kram raus, und VW könnte das Auto für denselben Preis bei einer Gewinnmarge von 1.000 bis 1.500 Euro pro Wagen statt der nur 150 verkaufen, die er zuletzt gebracht hat. Und wenn die Abgasreinigung das Ding wirklich 3000 Euro teurer macht, um es noch marktfähig zu halten: Ja Gott, dann muss man eben statt, wie ich, 12.000, 15.000 Euro ausgeben, um ein Auto zu haben. Aber man hat wenigstens eins - nach der Entscheidung, aus dem Konzept Kleinstwagen auszusteigen (Seat hat den Fiat 500 mal in Lizenz gebaut und ist darüber "groß" geworden), ist unter 20.000 plus x für einen elektrischen bei VW NICHTS mehr zu haben, außer man greift zum Polo. Der wieder mehr von allem braucht - Sprit, Platz, Ressourcen.
Wenn ich jetzt auf diese Volkswagen do Brasil Seite gehe, bekomme ich das Kotzen: wieso verkaufen die hier den im Wesentlichen SINNFREIEN T-Cross, der über den Polo hinaus keinen Mehrnutzen hat, aber mehr Sprit verbraucht, statt dem Gol, der für Leute wie mich (und es gibt einige wie mich, wie der Erfolg von Dacia zeigt) wie gemacht ist? Die einen billigen Karren brauche, weil sie sich der Größe ihrer Geschlechtsorgane gewiss sind und Spaß im Strassenverkehr auf einer 1996er BMW R110R suchen, finden und haben, bis sie vom nächsten LKW überrollt werden. Die im Laden eine bestimmte Menge X an Blech und keine Emotionen kaufen wollen, weil man die sowieso nicht kaufen kann und für die Illusion von Emotion in den Puff statt zum Autohändler gehen: da isses nämlich billiger und die Illusion hält auch noch länger an.
Und jetzt stellen sie mit den Drilligen die ersten Autos ein, die wirklich noch Volks-wagen in der ursprünglichen Idee des Konzerns waren: die Massen zu mobilisieren. Anfangs für einen von vorneherein aussichtslosen Krieg, okay, aber danach haben sie bis in die Neunziger diese Aufgabe ja mehr oder minder passabel hinbekommen.
Man, VW ist ein Konzern mit staatlicher Mehrheitsbeteiligung, der im Ausland super Entwicklungshilfe leistet, weil er Chinesen und Südamerikanern den Zugang zum Individualverkehr eröffnet hat, der ohne VW so wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen wäre.
Statt sich zu überlegen, wie man diesem Anspruch auch im Kernland gerecht werden kann, ohne 20.000 Euro plus x für einen elektrischen Mii/Up/Citigo zu verlangen, überlassen sie das allen anderen ausländischen Marken. Kein Mensch wird das als ERSTAUTO kaufen, wenn er ein billiges kleines Auto braucht, und diesen ID3 Wahnsinn erst recht nicht mitmachen, wenn er für dasselbe Geld bei Toyota doppelt so große, zuverlässige und unzerstörbare Hybride bekommt. Während die Brasilianer also in bezahlbaren VWs rumfahren ist unsere Automobilindustrie nur noch überlebensfähig, weil wir ihr mit der steuerlichen Begünstigung von Firmenwagen ein künstliches Zombieleben für die Produktion sinnfreier SUVs garantieren. So haben wir es mit der Steinkohleindustrie im Ruhrgebiet gemacht, so machen wir es mit der Braunkohle in West- und Ostdeutschland, so machen wir es mit der industriellen Landwirtschaft, und genau so machen wir es gerade mit der Autoindustrie: wir reiten sterbende Gäule und halten sie künstlich am Leben, anstatt bereits bei der Diagnose der tödlichen Krankheit nach einer Alternative zu suchen.
Ich glaube zum Beispiel nicht, dass die Elektromobilität wirklich ein adäquater Ersatz für die 125 Jahre Verbrennungsmotor im Auto ist. Aber es wird sich durchsetzen, weil andernorts längst entschieden ist, dass es die Elektromobilität sein soll. China steigt bis 2030 komplett aus dem kohlenstoffbasierten Individualverkehr aus und hat sich für Elektromobilität entschieden. Die Inder, die mindestens so dieselverliebt sind wie Baden-Würtemberger, verbieten diese Motortechnologie wegen Feinstaub. Punkt. Aus. Keine partiellen Fahrverbote, keine Gerichtsentscheidungen. Dagegen kommt keiner an, und das wissen auch alle. Die haben diktatorische Mittel, um das durchzuziehen - da zieht sich allenfalls die Polizei gelbe Westen an, weil man die besser vom Blut reinwaschen kann.
Da ist es auch völlig egal, ob wir uns mit dieser Technologie anfreunden wollen oder nicht - die paar Käufer bei uns sind für VW unspannend, wenn sie diesen Markt dafür verlieren. Den geben sie dann halt ganz auf, haben sie ja - jedenfalls was die Motorisierung der breiten Masse angeht - schon lange getan und sind mit der Einstellung der Drillige mittlerweile so weit, dass sie noch nicht mal mehr versuchen, das zu vertuschen. Deshalb prognostiziere ich mal, wie es kommen wird: die Asiaten werden ihre Verbrennertechnologie, die sie im Mutterland wegen immer rigideren Abgasvorschriften nicht mehr vor der Abschreibung loswerden, hier billig verklappen und den einfachen Bürgern mobil halten. Mit allen Umweltfolgen, die da dran hängen, und ihren eigenen Laden mehr und mehr sauber halten. VW wird dort bezahlbare Autos mit forschrittlicher Technologie anbieten und hier Premiumautos vom Dienstwagenprivileg subventionieren lassen.
Das alles scheint gewollt. Es wird seit Jahren davor gewarnt, und es wird nichts getan. Wir hätten uns ja anfang der Neunziger für die so hoch gelobte Wasserstofftechnologie entscheiden können, Mercedes forscht da seit Jahrzehnten dran. Haben wir aber nicht, sondern lieber den Bahnverkehr sterben lassen - und nun hat's halt ein anderer entschieden. Aber wenigstens wurde mal was entschieden in dieser Frage.
Bevor ich hier in den Verdacht gerate, rechtes Gedankengut zu verbreiten: ich werde den Chinesen/Japanern/Koreanern/Indern dann einen Altar bauen und jedem auf dem Weg, den er geht, Rosen streuen. Denn irgend jemand muss auch den Leuten hier den Weg zur Arbeit bezahlbar halten, die sich keinen SUV leisten können oder wollen und keinen Anspruch auf einen Dienstwagen haben. Wir hatten unsere Chance, Nachfolgetechnologien zu entwickeln, und haben es zu Gunsten von Softlack, Spaltmaß und "City Notbremsassistent" vergeigt. Das sind Begriffe, die gab es nicht, als meine Mutter 1981 den roten Golf Diesel gekauft hat, der in "C" Ausstattung mit aufpreispflichtiger Uhr im Cockpit später mein erstes Auto geworden ist. Da wird irgendwann nur noch der ferne Osten bleiben, um den "kleinen und mittelgroßen Mann" mobil zu halten.
Bis dahin haben wir einstweilen Herrn Scheuer und seine be-scheuerten Tretroller mit E - Unterstützung als Lösung all unserer Klima- und Mobilitätsprobleme. Und Nachbarn, die die Autobahnen für uns zumachen, weil das Schienennetz vom Nordkap bis zur Amalfiküste gut ausgebaut ist - bis auf Deutschland in der Mitte, und sie es nicht mehr ertragen, dass wir uns in der für uns als Exportnation so wichtigen Verkehrsfrage seit der Privatisierung der Bahn nur Rückwärts bewegen und lieber LKWs in den Stau schicken. Es gilt halt doch, was schon im Faust so treffend geschrieben steht: So ist denn alles, was entsteht, wert, dass es zu Grunde geht. Schade nur, dass die deutsche Automobilindustrie eine Schlüsselindustrie ist und mit ihrem selbstgewählten Niedergang so viele andere, unschuldige mitziehen wird, die von ihr abhängig (gemacht worden) sind.
Und damit muss es genug sein mit meiner Brandrede. So lange der neue Mii hält, wird er gefahren, danach halt dann ins Land der aufgehenden Sonne- oder nach Brasilien - aus- oder abgewandert.
In diesem Sinne: gute Nacht.